Die Degustation

Die Degustation

Schauen - Schwenken - Riechen - Trinken - Kauen - Schlucken

Wein trinken ist einfach. Glas an die Lippen und schlucken.

Wein verkosten ist ungleich schwieriger und komplexer. Sie brauchen besondere Werkzeuge, die richtige Umgebung, scharfe Konzentration, ein gutes Gedächtnis und eine lebhafte Phantasie.

Das Schmecken von Wein ist eine neue Dimension zu den grundlegenden täglichen Routinen vom Essen und dem Trinken. Es verwandelt Pflicht in Vergnügen, eine tägliche Notwendigkeit in ein Erlebnis der Sinne.

Was bedeutet es, Wein verkosten. Wir können unsere Sinne schulen. Je mehr Weine wir verkostet haben, um so besser wird unser Gedächtnis für Weine. Nehmen wir einmal an, wir haben einen unidentifizierten Wein und einen sachkundigen Prüfer, der nur seine Sinne und sein Gedächtnis benutzt. Kann er die Traubenart, den Jahrgang des Weines, sein Ursprungsgebiet, sogar die Weinkellerei bestimmen, die diesen Wein produzierte? Das ist ein Mythos. Tatsache ist, wenn der Wein Zimmer-Temperatur hat und dem Prüfer die Augen verbunden sind, können die meisten nicht einmal erzählen, ob es sich bei dem Wein um Rot- oder Weißwein handelt. Harry Waugh, ein englischer Wein-Experte, der beinahe 80 Jahre Weine verkostet hat, wurde einmal gefragt, ob er Burgund je mit Bordeaux verwechselt hätte. " Nicht seit dem Mittagessen antwortete " er.

Das eigentliche Ziel einer Weinverkostung ist es, einen Wein zu verstehen, und nicht ihn zu entlarven.

Durch eine konzentrierte Anwendung aller Sinne und durch Vergleich gespeicherter Sinn-Daten mit den Erinnerungen an andere Weine, die man geschmeckt hat, kann der ernsthafte Prüfer die Biographie eines Weines zu einem erstaunlichen Ausmaß entziffern. Jede Flasche Wein ist eine Mitteilung, die physische Verkörperung der Umgebung und seiner Zeit einfing. Öffnen Sie eine Flasche von rotem Bordeaux aus dem Jahr 1961 und sogar eine Generation später überschwemmt die staubige Wärme dieses langen, heißen Sommers das Eßzimmer.

Die Techniken vom Verkosten verbessern die Fähigkeit Wein eindeutig wahrzunehmen. Sie sind eigentlich ganz einfach und führen eine definierte Folge von Schritten logischerweise zu Ende. Einige der Verfahren scheinen vielleicht zu unnatürlich oder überheblich gegenüber Uneingeweihten, aber sie sind im Verlauf der Jahrhunderte entwickelt worden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Nach einer Weile werden sie automatisiert. Das Umherwirbeln von Wein im Glas, um die Aromen freizulassen, erschient im ersten Augenblick plump, aber nach einiger Zeit kann man beobachten wie man das gleiche mit einem Glas Wasser tut.

Nicht alle Weine verdienen es verkostet zu werden; wenn Sie weißen Pino Grigio aus Pappbechern bei einem Picknick trinken, wird der Versuch die Anstrengung einer ernsthaften Verkostung zu unternehmen wahrscheinlich als Snobismus wahrgenommen werden.

Erinnern Sie sich, daß das Verkosten keine Prüfung ist ,-- Ihre subjektive Antwort ist wichtiger als irgendwelche " richtigen Antworten." Die einfachste Aussage ist: Wein, der Ihnen gut schmeckt, ist guter Wein. Wenn Sie Ihre eigenen wahrnehmungsmäßigen Fähigkeiten schärfen und Ihr eigenes Vokabular entwickeln um sie zu artikulieren, werden Sie nicht nur mehr Vergnügen vom Wein selbst ableiten, sondern feststellen, daß die Kommunikation zwischen Ihnen und Ihren Freunden reger wird, die mit Ihnen die Flasche teilen.

Die einzelnen Phasen


1) Die optische Prüfung

Der erste Schritt ist visueller Art. Füllen Sie das Glas max. zu einem Drittel. Fassen Sie es immer am Sockel oder am Stiel. Das mag Ihnen vielleicht zuerst unangenehm, oder affektiert erscheinen, aber es gibt gute Gründe dafür: das Halten des Glases am Kelch versteckt der Sicht dieFlüssigkeit, Fingerabdrücke verwischen seine Farbe, die Hitze Ihrer Hand ändert die Temperatur des Weines. Peynaud sagt, " An der Art wie jemand ein Weinglas hält können Sie sofort sehen, ob sich um einen Kenner handelt." Verwenden sie niemals farbige Gläser. Das Glas sollte dem Wein entsprechen, je „größer“ der Wein um so größer das Glas. Nur im richtigen Glas kann sich der Wein voll entfalten.

Einen einfachen Chianti aus einem 700ml fassenden Glas zu trinken, ist genau so falsch wie einen Chateau Margaux aus einem Senfglas. Sorgen Sie für ausreichende Beleuchtung, den Inhalt können Sie am besten vor einem weißen, nicht gemusterten Hintergrund betrachten.

Konzentrieren Sie sich dann auf Farbe, Intensität und Klarheit. Jedes Kriterium erfordert einen anderen Blickwinkel. Die Farbe können Sie am besten beurteilen, wenn Sie das Glas vom Körper wegneigen. So sehen Sie wie sich die Farbe vom Boden zu den Rändern verändert. Strahlende Farben deuten auf Qualität. Die Intensität der Farben erkennen Sie am besten, wenn Sie von oben durch den Wein hindurch sehen. Die Klarheit--, ob der Wein mit Teilchen glänzend, oder wolkig ist ,-- ist am besten zu beurteilen, wenn Licht seitwärts durch das Glas leuchtet. Nichts darf einen Weißwein trüben, anhaltende Trübungen sind grundsätzlich ein schlechtes Zeichen.

Jedes dieser Elemente enthüllt andere Aspekte vom Charakter eines Weines und dessen Qualität. Aber vergessen Sie nicht die Farbe des Weines zu genießen. Keine andere Flüssigkeit ist so lebhaft und buntscheckig oder reflektiert Licht mit solcher Freude und Finesse. Das Aussehen von gutem Grund-Wein wird oft mit Rubin und Granat, Topas und Gold verglichen.

2) Den Wein schwenken und atmen lassen

Lassen Sie den Wein im Glas kreisen. Die einfachste Möglichkeit ist, wenn Sie das Glas auf den Tisch stellen, den Stiel zwischen Daumen und Zeigefinger nehmen und das Handgelenk sachte drehen. Rechtshänder werden es einfacher finden das Glas im Uhrzeigersinn zu drehen, Linkshänder entgegen dem Uhrzeigersinn. Bewegen Sie das Glas bis der Wein tanzt und beinahe bis zum Rand klettert. So nimmt der Wein eine intensive Sauerstoffdusche und setzt die flüchtigen Stoffe frei. Vor allem schwach aromatische Weine lassen sich so erst entdecken. Die Schlieren an der Wand verraten viel über den Inhalt. Sind sie breit und schwer ­ Weinkenner sprechen von "Tränen" oder "Kirchenfenstern" ­ erweist sich der Wein als alkohol- und extraktreich.

Vorsicht: zuviel Spülmittel beim Reinigen des Glases behindert die Bildung dieser Schlieren. Bei der Degustation mehrerer verschiedener Weine das Glas vorher mit ganz wenig des ausgewählten Weines ausspülen.

3) Die Prüfung des Geruchsbildes des Weines

Wenn Sie aufhören zu wirbeln und die „Tränen“ fallen ist es Zeit für den nächsten Schritt: das Riechen. Durch das Bewegen des Weines verdampft er und der dünne Film der Flüssigkeit auf den Seiten des Glases verdunstet schnell. Das Ergebnis ist eine Steigerung der Aromen. Wenn das Glas sich oben verengt, werden die Aromen sich weiter konzentrieren. Stecken Sie Ihre Nase direkt in das Glas und atmen Sie ein. Es gibt keine generell richtige Schnuppertechnik; einige befürworten ein oder zwei schnelle Einatmungen, andere ziehen mehrfaches, scharfes Schnüffeln, vor. Das Ziel sollte sein, daß Sie die Aromen tief in die Nase einziehen, damit sie in Kontakt mit den Geruchsnerven kommen, wo die Aromen registriert und entziffert werden. Mit viel Übung und großer Aufmerksamkeit, werden Sie lernen Ihre Wahrnehmung von Aromen zu maximieren und sie zu entziffern. Die Welt der Gerüche ist gewaltig und verwirrend. Unsere Geruchsausrüstung ist unglaublich empfindlich. Wir können Aromen in so kleinen Quantitäten unterscheiden, wie sie Laboratorium-Ausrüstungen kaum messen können. Weinprüfer lieben es Gerüche zu identifizieren. „Schokolade!" schreien die einen, „schwarze Johannisbeeren“ die anderen. „ Tee, Tabak, Pilze und ein Stückchen des alten Scheunenhofes,“ intonieren die Dritten. Spielen Sie mit Worten. In unserer Zeit der Deos und der Zitronenfrische ist es kein Wunder, daß uns die Worte fehlen, wenn wir einen Wein riechen.

Aber in der Tat riecht Wein mehr als nur nach Weintrauben. Die Analyse seiner flüchtigen Bestandteile hat die gleichen Moleküle identifiziert, die vielen vertrauten Gegenständen ihre auffälligen Düfte geben. Hier sind nur einige: Rose, Iris, Kirsche, Pfirsich, Honig und Vanille. Aber auch Straßenteer, Katzenurin und geräucherter Schinkenspeck wurden analysiert. Wissenschaftler sagen, daß Gerüche direkten Zugang zum Gehirn haben und sich sofort zu Gedächtnis und Emotion verbinden. Wie das Parfüm eines Liebhabers oder der Duft von Keksen aus der Kindheit, die Aromen von Wein können Emotionen freisetzen.

4) Die Prüfung des Geschmacks des Weines

Jetzt kommt der beste Teil. Sie können von den aufleuchtenden Farben des Weins fasziniert sein und in verklärter Träumerei von seinen evokativen Aromen hypnotisiert werden, aber das Trinken des Weines ist eigentlich das, was die Zunge lockert, die Arme öffnet und den wahren Zweck dieser Flüssigkeit vollendet. Sie denken das sei der einfachste Teil der Übung? Weit gefehlt, es gibt einen riesigen Unterschied zwischen dem Schlucken und dem Schmecken.

Mit den Aromen, die noch durch Ihre Sinne widerhallen, setzen Sie das Glas an Ihre Lippen und bringen etwas Flüssigkeit in die Mundhöhle. Wieviel? Das hängt von der Größe Ihres Mundes ab. Sie müssen genug Volumen haben, um überall Ihren schmeckenden Apparat zu bedienen, aber nicht so viel, daß Sie gezwungen werden sofort zu schlucken. Es bedarf einer gewissen Zeit und Anstrengung den Wein zu zwingen seine Geheimnisse auszuplaudern. Ich behalte einen angenehmen Wein 10 bis 15 Sekunden in meinem Mund, manchmal länger. Verteilen Sie den Wein im Mund, jeder Teil entschlüsselt einen anderen Aspekt der Flüssigkeit. Öffnen Sie leicht Ihre Lippen und atmen sachte durch sie ein, dies ruft ein sprudelndes Gräusch hervor. Kinder finden das unheimlich lustig. Es beschleunigt die Verdampfung und intensiviert die Aromen. Kauen Sie den Wein energisch und wirbeln sie ihn in Ihrem Mund herum, so werden Sie in die Lage versetzt, jede noch so kleine Nuance von Geschmack des Weines zu entziffern. Nur vier Grundempfindungen des Geschmacks können wir unterscheiden: bitter, salzig, sauer und süß, alle übrigen Empfindungen sind Verbindungen aus diesen. Die Zungenspitze reagiert auf süß und weich, die Seitenzonen auf sauer und salzig und der Zungengrund hinten empfindet bitter, herb, rauh, Tannin.

Vergessen Sie das Ende nicht, nachdem Sie geschluckt haben atmen Sie sachte und langsam durch Mund und Nase aus. Der Retronasaldurchgang, der die Kehle und die Nase verbindet, ist noch eine Avenue für Aromen. Noch lange nachdem Sie den Wein geschluckt haben, werden Sie hier Aromen wahrnehmen. Sie werden merken, je besser, komplexer, tiefgründiger ein Wein ist, um so länger halten diese restlichen Aromen vor. Bei großen Weinen, empfindlichen Prüfern und minimalen Ablenkungen kann das Ende eine Minute oder länger dauern. Es ist ein Moment von Meditation und Gemeinschaft die kein anderes Getränk schaffen kann